Unterschiede Schweden – Schweiz

Auf den Seiten des Schweizer Unihockeyverbandes ist ein interessanter Artikel erschienen, der die Unihockeyrelevanten Unterschiede zwischen Schweden und der Schweiz behandelt.

René Berliat war schon immer ein Trainer, der nicht einfach nur sein Team im Auge hat. Er sieht daneben den ganzen Verein und macht sich auch grundsätzlich Gedanken über diesen Sport. Wer sich ernsthaft mit dem Thema Unihockey befasst, sollte sich diese beiden Artikel nicht entgehen lassen.

„Entschuldige, ich weiss Deinen Namen nicht mehr aber ich weiss genau wer Du bist. Du kommst aus dem Unihockey, der Mannschaftssportart wo die Schweiz noch zu den Top-three gehört weil die Sportart noch in den Kinderschuhen steckt und international noch nicht so verbreitet ist!“. Dies sagte mir kürzlich einer meiner Referenten des Diplomtrainerlehrganges anlässlich der Diplomfeier. Er war schon während seiner Vorträge bekannt für das offene Wort, und wie ich fand, für coole Provokationen. Entweder man mochte ihn oder nicht, dazwischen gab es nicht viel. Ich mochte ihn, er war ein Querdenker, eine Art Philosoph mit oftmals genialen Ansätzen. Auch mit obiger Aussage wird er wohl leider in Zukunft recht behalten, wenn sich nicht vieles ändert im Schweizerländle.

Genau wie er öfters, begebe auch ich mich mit diesem Vergleich auf glattes Eis, will ein wenig provozieren, kritisieren, aufrütteln. Aber auch Chancen und Wege zeigen. Wenn über das, was ich schreibe, nachgedacht wird und vielleicht nur ein kleiner Bereich aufgrund dieses Berichts geändert oder neu überdacht wird, dann habe ich etwas kleines für das Schweizer Unihockey erreicht. Klar, dass es auch Leute geben wird, die mir aufgrund dieses Berichts Arroganz/Ãœberheblichkeit vorwerfen werden. Das ist die denkbar einfachste Variante, sich selber nicht weiter zu entwickeln. Mir liegt das Schweizer Unihockey sehr am Herzen, sonst hätte ich nicht tagelang, ohne finanzielle Gegenleistung, über diesem Vergleich gebrütet.

Bevor ich mit möglichen Erklärungen beginne, möchte ich folgendes zu Bedenken geben.
– Man muss den Sport/die Sportart versuchen in einer Gesamtheit zu sehen, die sich aus vielen verschiedenen Bereichen zusammensetzt. Darin spielt meines Erachtens auch der Staat/das System, wo man lebt, eine Rolle. Schweden ist ein Sozialstaat, der die Leute anders prägt als die Schweizer, die in einem viel kapitalistischeren Staat leben und aufwachsen. Die Arbeitswelt ist in Schweden viel flexibler (Teilzeit, Freinehmen).
– Das Schulsystem in Schweden ist anders (z.B. Kinder essen in der Schule und haben ca. ab 14.00/15.00 frei, Hierarchien sind in Schweden weniger streng -> es läuft vieles über erklärende Gespräche). Dadurch erkläre ich mir auch die Fähigkeit, auf und neben dem Feld mehr miteinander zu kommunizieren, als das wohl meist in der Schweiz üblich ist. Manchmal wird es aber übertrieben und ist einfach nur uneffektiv (Sitzungen, Sitzungen und nochmal Sitzungen…..)
– Schweden hat 120´000 lizenzierte Grossfeldspieler- und spielerinnen, die Schweiz hat wohl höchstens 4´000! Ein ziemlich grosser Unterschied finde ich, der oftmals zuwenig beachtet wird und schon mal eine ganze Menge erklärt.
– Schweden ist flächenmässig ein riesiges Land und hat oftmals dadurch viel bessere Voraussetzungen, die nötigen Sportinfrastrukturen zu schaffen (billiges Bauland, keine „doofen“ Hallennachbarn, da man die Halle irgendwo in der Pampa bauen kann).
– Ãœber dieses Thema könnte man ein Buch schreiben. Ich versuche es hier auf ein paar Seiten abzuhandeln. Weiter hoffe ich, dass ich es so schreiben kann, dass ich richtig interpretiert werde.

Es ist auch wichtig folgende Sachen zu meiner Person zu wissen:
– Meine Meinung ist natürlich subjektiv, und sie stützt sich auf das, was ich in der Schweiz ausschliesslich bei Floorball Köniz und in Schweden bei IBK Alba (keineswegs die 1. Adresse im schwedischen Unihockey) erlebt habe. Mir ist schon klar, dass es auch in einem Land zwischen den einzelnen Vereinen/Personen riesige Unterschiede geben kann.
– Ich habe bis 18 Jahre Fussball gespielt (und das meist auf Inter-Niveau) und weiss darum aus eigener Erfahrung, was einem (mannschafts-)sportliche Vielseitigkeit bringen kann.
– Es kann gut sein, dass ich mir in ein paar Punkten zu meiner Meinung, die ich noch vor ein paar Jahren vertreten habe, widerspreche. Da steh ich dazu, ich habe mich weiterentwickelt und öfters sind mir die Augen aufgegangen. Und auch die Meinung hier wird sicher nicht definitiv sein.

Also, let´s start!

Wer ein Spiel spielt, sollte versuchen, dieses Spiel zu verstehen!
Ich glaube, dass dort ein Hauptproblem des schweizerischen Unihockeys liegt. Viel zu wenige Spieler/Trainer verstehen dieses Spiel, um das Niveau Schwedens zu erreichen (wer die letzte WM gesehen hat, weiss, dass es selbst in unserer Nati Spieler hat, die Mühe haben ein Spiel zu verstehen, sprich, dass sie wirklich zusammenspielen können). Im Mannschaftssport geht es darum zusammenzuspielen, richtig zu laufen, damit man angespielt wird oder ein Tor erzielen kann. Oder bei Ballbesitz des Gegners zu wissen, wann man wo stehen muss, um die bestmögliche Chance zu haben, den Ball wieder zu erobern oder ein Gegentor zu verhindern.
Tönt einfach und logisch, es umzusetzen ist nicht so einfach und erfordert einen vielseitig ausgebildeten Spieler.

In Schweden habe ich schon manches Team/Spieler gesehen (auch in unteren Ligen) das/der miserabel trainiert war aber gegen das/den schon diverse NLA-Klubs der Schweiz Probleme bekämen. Warum? Sie wissen wann wo stehen, wann welchen Pass spielen und technisch ist die Klasse vorhanden, einen Pass hart und genau zu spielen, resp. hart und genau anzunehmen resp. abzuschliessen. Kurz gesagt: Sie verstehen das Spiel das sie spielen, haben das technische Rüstzeug dazu, und das ist meines Erachtens die Basis. Wenn man jetzt noch schnell und lang sprinten kann und kräftig ist umso besser. Warum aber besteht eine so grosse Breite an Spielern in Schweden, die das Spiel besser verstehen als die Schweizer?
Die Erklärung liegt meines Erachtens in der sportlichen Vielseitigkeit bis zum 15. Lebensjahr. Praktisch jeder in meiner jetzigen Mannschaft IBK Alba spielte als Jugendlicher Fussball, Eishockey oder Bandy (oder alles zusammen). Und genau so ist es auch mit vielen Junioren, die jetzt bei Alba spielen. Manche trainieren 2 mal die Woche Unihockey und zweimal Eishockey. Im Sommer spielen sie dann noch im Fussballclub. Typisch auch die Albamannschaft der 10-jährigen. Von Oktober bis März trainieren und spielen sie Innebandy, im Sommer ist dann praktisch die ganze Mannschaft im Fussballclub (kein Innebandytraining in dieser Zeit), notabene vom gleichen Trainer trainiert. Diese Jugendlichen sammeln eine Unmenge von verschiedenen Spielerfahrungen auf verschieden grossen Spielfeldern und Unterlagen (Hallenboden, Rasen, Eis), verschiedenen Spielobjekten (Puck, Fussball, Unihockball), verschiedener Anzahl Mitspieler und verschiedenen Taktiken. Zudem werden auch die athletischen Grundlagen durch die verschiedenen Anforderungen automatisch vielseitiger ausgebildet. Geraten Sie nun als erwachsene Spieler auf dem Spielfeld in eine Stresssituation, haben sie einen enorm grossen Background von bereits als Junior erlebten Spielerfahrungen, auf die zurück gegriffen werden kann. Damit sind sie auch viel eher fähig, den der Spielsituation angepassten richtigen Entscheid zu treffen (cleverer Pass, Schuss, Dribbeln). Das Mannschaftsspiel klappt natürlich auch viel besser wenn fast alle das Spiel verstehen. Wenn man Spiele der Elitdivision sieht, so gibt es praktisch keine Dribblings mehr. Gefragt sind schnelles, genaues Passspiel und Direktabschlüsse. Extrem schnell passiert auch die Umstellung von Verteidigung auf Angriff bei Eroberung des Balles. Ich habe Situationen gesehen wo der Ball in 3, 4 Sekunden vom eigenen Tor mit 1, 2 schnellen Pässen im gegnerischen Tor versenkt wurde. Auch hier gilt: Wer das Spiel versteht, kann schneller umschalten und den richtigen Entscheid treffen.

Was können wir in der Schweiz im Juniorenalter machen?
1. Spielt im Sommer möglichst viel verschiedene Mannschaftssportarten (Fussball, Frisbee, Basket etc.) mit Euren Junioren/innen.
2. Wäre genial, mit Vereinen anderer Sportarten Möglichkeiten zu schaffen, wo 6 bis 15-jährige in 2, 3 verschiedenen (Mannschafts-)Sportarten möglichst lange mitmachen können, bevor sie sich für eine Sportart entscheiden müssen (ist mir schon klar, dass die Gefahr besteht, dass es nicht Unihockey sein wird…).

Und jetzt kommt noch eine Idee, die noch weiterzuentwickeln wäre. Und wahrscheinlich nicht ganz einfach umzusetzen ist.

Trainingssteuerung durch neue Wettkampfformen
Wie können wir erreichen, dass die grosse Breite von Juniorentrainern das für das jeweilige Alter wichtige besser trainiert? Indem man z.B. nach dem Spiel noch zusätzliche Skills (Passing, Direktschuss, Koordination etc.) durchführt und die Sieger in den Skills zusätzlich Punkte zu den Punkten im Match erhalten. In anderen Sportarten (z.B. Bike) hat man so sensationelle Erfolge erzielt. Beispiel: Anstatt 9-jährige ein 5 Kilometerrennen (wie Erwachsene) fahren zu lassen, hat man Koordinations- und Geschicklichkeitsparcours erfunden, wo vor allem die Technik der Kleinen gefördert wird. In dieser Situation trainiert nun der Trainer automatisch das in diesem Alter wichtige und hetzt die Jungs nicht in jedem Training sinnlos umher.
Was wären für Formen im Unihockey möglich? Wie könnte man das organisatorisch gestalten? Klar, das bringt einige Denk- und Organisationsarbeit mit sich. So was einzuführen wäre wirklich revolutionär!

Zurück zum Spiel verstehen. Das Brutale ist, dass das in den jungen Jahren verpasste später kaum oder nur noch mühsam beigebracht/kompensiert werden kann. Was ich damit sagen will, ist, dass man mit 20 Jahren noch 10 mal in der Woche trainieren kann und die Fortschritte stellen sich nur schleppend ein (in Köniz trainierte ich auch ein paar Spieler, wo einfach in jungen Jahren zuviel verpasst wurde, um je ein Spiel richtig zu verstehen). Womit wir beim Schweizer Unihockey wären. Es kann kein Zufall sein, dass zwei der momentan besten Schweizer Unihockeyspieler, Hofbauer und Bill, Fussball gespielt haben und auch sonst in ihrer Jugend sehr polysportiv waren. Zu oft haben wir zu früh spezialisierte Spieler, die bis 16 Jahre nichts anderes kennen ausser ein kleines Unihockeyfeld, wo es darum geht, wenn überhaupt, einen einzigen Pass zu spielen und dann aus kürzester Distanz drauflos zu knallen. Einer, der aber als Jugendlicher Fussball gespielt hat, und damit käme ich wieder auf Hofbauer/Bill und meine eigenen Erfahrungen zurück, muss Räume von 30, 40 Metern lernen anzuspielen. Er muss auch zusammenspielen, bei 10 Feldspielern und dem riesigen Platz geht das nicht anders. Diese Erfahrung führt automatisch auch im Unihockey zu einem besseren Erfassen des Spiels und des Spielfeldes, zu einer erweiterten Split-Vision und zur Fähigkeit mit anderen zusammenspielen zu können.

Ich war an genug Schweizer Unihockeyjuniorenturnieren, um beurteilen zu können, was dort leider öfters abgeht, mir wurde dabei schlecht. 1, 2 starke Einzelkönner werden bedingungslos für den Erfolg des Trainers forciert, anstatt dass versucht wird, eine starke Teambreite aufzubauen. Die einzige Taktik, die bei 90% aller Kleinfeldjuniorentrainer bekannt scheint, ist Manndeckung. Wie soll so ein junger Spieler je ein Raumgefühl in der Defensive entwickeln, wenn er ein ganzes Spiel lang sinnlos einem Mann nachhecheln muss (noch heute klingt mir die Anweisung eines ehemaligen Fussballtrainers in den Ohren: „Du verfolgst deinen Gegenspieler überall hin, notfalls auch auf die Toilette“). Manndeckung soll auch angeschaut werden, aber nicht ausschliesslich. Und damit man mich nun nicht falsch versteht: Mannschaftstaktik soll bis ca. 16 Jahre eh kein Ausbildungsschwergewicht sein. Das „Resultat“ sieht man dann, wenn diese Spieler mit 16 Jahren auf das Grossfeld kommen. Wie verstörte Kleinkinder versuchen sie die ach so grossen Räume zu erfassen, die „Kleinfeldstars“ merken plötzlich, dass es nicht mehr geht, alles durchzudribbeln und von überall zu schiessen, man wäre nun auf Mitspieler angewiesen die das Spiel verstehen… Natürlich können Pässe höchstens auf 5 Meter gespielt werden… So ist es vielleicht clever, dass man in der nationalen U-19 Manndeckung spielen lässt, damit wird wenigstens schon mal die Unfähigkeit vieler Spieler bei Ballbesitz des Gegners Raum zu erfassen, ausgeschaltet. Nur schade, dass die Spieler der wenigen Vereine, die Ihre Leute vielseitig ausbilden, so das Gelernte kaum anwenden können, in der A-Nati wäre ja dann Raumdeckung gefragt…

Geht mal einen Zusammenzug in einer U18-Regio anschauen. Die Hälfte der dort anwesenden ist meist in ein, zwei Bereichen gut (z.B. Athletik, Schuss, Technik, Charakter/Einstellung) aber kaum vielseitig. Einmal mehr wird dadurch das Spiel nicht verstanden. Wenn man nun sieht, wie diese Leute versuchen zusammenzuspielen (und immerhin sollten das ja die Besten einer Region sein) und wirklich einfachste Sachen nicht klappen, greife ich mir an den Kopf (noch schlimmer macht die Sache, dass viele dieser Spieler das Gefühl haben, sie seien wirklich gut – beginnt man mit denen nun wirklich konsequent zu trainieren, sind sie dann die halbe Zeit beleidigt, weil man doch die eine oder andere Schwäche zu verbessern versucht…). Oder dann hat es vielleicht drei in einer Linie die das Spiel begreifen, aber sie müssen noch 2 andere Spieler mitschleppen, die wirklich keine Ahnung von Zusammenspiel haben (das gab es sogar bei der A-Nati an der letzten WM zu beobachten). Um wirklich ein Spiel in einer Linie aufzuziehen, sollten alle das Spiel einigermassen verstehen, sonst bleibt es immer wieder hängen. Das ist nämlich auch das Geheimnis der Spielgestaltung gegen extrem defensive Mannschaften. Alle fünf in der Linie müssen fähig sein, einander den Ball hart, schnell und genau zuzuspielen, einigermassen wissen wo hinlaufen um damit einen riesigen Druck auf das verteidigende Team aufzubauen, um dann im richtigen Moment den Abschluss zu finden. Darum haben so viele Schweizer Teams Probleme in der Spielgestaltung gegen ultradefensive Teams. Ganz ehrlich, manchmal finde ich es tragisch, was für Spieler (oftmals gibt es keine Besseren) alles in Juniorregionalauswahlen aufgeboten werden (müssen). Vor zwei Wochen war ich an der Distriktslagmästerskapp in Karlstad. Das ist etwa das Pendant zu unserer Auswahltrophy. Nicht weniger als 22 Regionalauswahlen aus ganz Schweden duellierten sich dort, die Auswahl an Spielern für die U19 war doch ein wenig grösser (und oftmals auch besser).

Dass der Verband hohe Ziele setzt (WM-Titel 2004) finde ich gut. Nur, sollte man dann nicht auch schauen, dass die Voraussetzungen an der Basis dafür geschaffen werden, das heisst wenigstens die B-Junioren endlich Grossfeld spielen zu lassen? Nun kommt natürlich der Einwand der fehlenden Hallen etc.. OK, wenn das nicht geht, müssen wir wahrscheinlich akzeptieren, dass es nicht mehr lange reicht, an der internationalen Spitze mitzuspielen, weil einfach die Infrastrukturen in der Schweiz nicht gut genug sind (warum wohl kommen aus der Wüste Sahara keine guten Skifahrer…?). Noch was wegen Klein-/Grossfeld. Auch in Schweden läuft da meines Erachtens vieles nicht perfekt. Ich finde das Kleinfeld bis ins Alter von ca.10/11 Jahren viel sinnvoller, da die Junioren mehr am Ball sind, die individuellen Fähigkeiten damit besser geschult werden (was in diesem Alter entscheidend ist) und viel mehr Torsituationen entstehen. Ich habe hier schon Juniorenspiele der ganz Kleinen gesehen, wo ein paar Spieler nie den Ball berührten und die Torhüter kaum was zu tun haben. Apropos Torhüter: Da profitieren die Schweizer Goalies vom Kleinfeld bis 16 Jahre (mehr Schüsse, mehr Slotsituationen/ausgenommen der Auswurf, da sind die Schweden klar besser -> grössere Distanzen) und sind meines Erachtens meist besser als ihre gleichaltrigen schwedischen Kollegen.

Ich weiss nicht, ob das aus dem obengenannten Spiel verstehen herrührt. Aber für schwedische Aktivteams ist eine Mannschaftstaktik selbstverständlich und die Umsetzung derjenigen sowie sonstiger Anweisungen des Trainers und des Coaches während des Spiels oder Trainings erfolgt umgehend (jedenfalls ist das bei Alba der Fall). Praktisch jeden Schweizer Spieler, den ich seinerzeit zu Köniz transferierte, hatte in seinen bisherigen Vereinen kaum je nach einer Taktik oder nach Anweisungen gespielt. Das erste Jahr musste ich dann diesen Spielern das in x-Jahren Verpasste versuchen beizubringen und sie vor allem überzeugen, dass es wirklich etwas bringt, nicht einfach irgend etwas zu spielen. Klar, das war unglaublich mühsam und brauchte auch die Nerven der Spieler, für die das bereits selbstverständlich war. Wäre doch toll, wenn man es wenigstens soweit bringen könnte, dass man in der Schweiz als NLA-Trainer nicht immer noch einigen Spielern die grössten taktischen Selbstverständlichkeiten lehren müsste oder noch schlimmer, sie überzeugen muss, dass es etwas bringt, konsequent nach einer Taktik zu spielen (da hat mich Rychenberg diese Saison überrascht, die bringen das fertig, auch wenn es öfters nicht sehr attraktiv zum Anschauen ist. Der Erfolg gab ihnen aber recht).

Nun, wo liegen die Chancen und Bereiche, wo wir besser oder gleich gut wie die Schweden sein können:

Organisation/Planung
OK, sind halt typisch schweizerische Tugenden und vielleicht nicht so beliebt und spektakulär. Aber: Durch gute Organisation und Planung eines Trainings/Saison oder einer Cluborganisation kann die Qualität von dem, was wir machen, massiv gesteigert werden. Meines Erachtens haben viele Schweden grosse Mühe, etwas auf längere Sicht zu planen, es lebe die Improvisation! Achtung: Die Improvisation ist auch sehr wichtig und sie darf trotz guter Planung nicht vergessen werden (im Spiel ist vieles Improvisation!). Aber wenn Improvisation nur noch nacktes Chaos ist, geht einfach sehr viel unnötige Energie verloren, und es ist nur noch peinlich. Und glaubt mir, das habe ich hier in Schweden genügend erlebt… Ich glaube, das bessert hier erst, wenn den Schweden mehr Länder auf die Pelle rücken.

Perfektion/Qualität
Nochmal typisch schweizerische Tugenden. Darunter verstehe ich vor allem die Ausbildung der Trainer und dann vor allem die konsequente Umsetzung des Gelernten in die Trainings in den Vereinen. Ich weiss, dass das klappen kann, schliesslich habe ich in Köniz als Verantwortlicher eine Juniorenabteilung aufgebaut, die auch in Schweden absolut top wäre. Ich habe bei Alba auch schon Juniorentrainings geleitet und dabei festgestellt, dass viele Juniorentrainer (öfters Väter der Junioren) qualitativ und auch vom Fachwissen her sehr schlechte Trainings machen. Ich darf mir nicht ausdenken, was die Schweden noch rausholen könnten, wenn sie dort noch besser arbeiten würden… Da liegt auch bei ihnen noch sehr viel Potential brach.

Aber trotzdem, wenn ich momentan bei den Trainern den Vergleich mache sieht es so aus:
Im schwedischen Unihockey hat es wenige Toptrainer, viele mittelmässige Trainer und wenig schlechte. In der Schweiz hat es wenige Toptrainer, wenig mittelmässige und viele schlechte. Das muss dringend ändern und ich hoffe, dass da die Trainerschulungen des Verbandes schon greifen!

Athletikfaktoren
Klar sind die Schweizer dort den absoluten Topspielern Schwedens immer noch unterlegen. Aber ich glaube, dass dort aufgeholt wurde. Natürlich passiert auch bei den Athletikfaktoren einiges in der Jugendzeit (Koordination, Laufschulung, Kräftigung spez. Rumpf), was später schwerlich aufgeholt werden kann, aber: Das Training der Athletikfaktoren ist eine Fleisssache und damit hat das jeder selber in der Hand, speziell im Aktivenalter! Aber eben, alle Athletik nützt nicht viel, wenn man das Spiel nicht versteht und einfach wie wild im Spielfeld rumrennt.

Wirtschaftliche Faktoren/Geld
Wenn man es mit den finanziellen Verhältnissen der meisten schwedischen Vereine und vor allem des Verbandes vergleicht, stehen wir in der Schweiz recht gut da. Die schwedische Herren-Nationalmannschaft musste zum Beispiel die Februarländerspiele wegen finanzieller Engpässe des Verbandes absagen. Der schwedische Natitrainer Kokocha lässt keine Gelegenheit aus, sich über die wenigen Zusammenzüge sowie über sein Nebenamt zu beklagen (vom Profistatus, den Urban Karlsson hat, träumt er nur). Die cleveren Vereine der Schweiz investierten in den vergangenen Jahren ihr Geld in die Ausbildung und die Junioren und können jetzt die verdiente Ernte einfahren. Unser Unihockey kann nur von unten her besser werden. Bin gespannt was die wohl kommende totale Öffnung punkto Ausländer bringen wird. Mir schwant nicht nur Gutes, das Geld wird fortan wohl vor allem dorthin fliessen, sobald der erste Verein mit mehreren Ausländern Erfolg haben sollte…

Flächenmässige Grösse des Landes/Zusammenarbeit
Ja, das kann ein grosser Vorteil sein. Wenn wir zusammenarbeiten, gerade im Bereich der Nationalteams, haben wir massive Vorteile gegenüber Schweden. Ich glaube, dass es einfacher ist, wenn fast alle Orte innerhalb von 3, 4 Stunden erreichbar sind. In Schweden sind es vom nördlichsten bis südlichsten Punkt ca. 2000 Kilometer… Die Gefahr ist natürlich, dass wir in der Schweiz einander auf die Nerven gehen, weil alles so nah beieinander liegt und man immer die gleichen Köpfe sieht und oftmals die Gefahr von Vetterliwirtschaft besteht (gerade in den Auswahlen, habe das aber hier in unserem Distrikt Gästrikland auch schon erlebt…). Ich hatte in den vergangenen Jahren viele Spieler in diversen Nationalteams. Natürlich war ich auch nicht immer mit jeder Entscheidung und der jeweiligen Spielphilosophie der Auswahltrainer einverstanden. Ich kann aber mit gutem Gewissen behaupten, bei Problemen stets das Gespräch mit den Trainern gesucht oder zumindest meine Spieler im Interesse des Schweizer Unihockeys immer wieder motiviert zu haben, ihr Bestes zu geben. Ich glaube wenn dort alle Beteiligten in Zukunft mehr im Interesse des Schweizer Unihockeys handeln würden anstatt unnötige Schlammschlachten zu inszenieren, brächten wir schon mal dieses unbedingte Zusammenhalten zustande, das es nun mal braucht, um eine Sensation gegen einen von den Voraussetzungen her massiv besseren Gegner (sprich Sieg gegen Schweden oder Finnland) zu erreichen.

Mentale Stärke / Kämpferherzen
Klar, ich denke, dass in der Breite des Kaders in Schweden mehr Spieler es wirklich hassen zu verlieren. Aber ich habe auch in der Schweiz Spieler und einige Trainer (z.B. Berger/Brendler/Düggeli/Wolf) kennengelernt, die sich punkto mentale Stärke und Kämpferherzen absolut nicht verstecken müssen. Die Umstände mit Schule und Job sind in der Schweiz meist härter, und wer sich dort durchbeissen kann, sollte eigentlich auch im Sport belastbarer sein. Habe schon öfters in Schweden die Erfahrung gemacht, dass viele Leute nicht sehr belastbar sind (ein Spieler meiner Mannschaft hat sich eben mal einen Monat wegen Gefahr „Burn-Out“ im Job krankschreiben lassen und das geht hier ohne grosse Probleme…). Die Nachteile des Sozialstaates – für jedes kleinste Problem gibt´s einen Betreuer oder irgend einen Ausweg. Es sei einfach hier mal gesagt: Auch die Schweden kochen nur mit Wasser, einfach ein wenig mehr in unsere Fähigkeiten vertrauen und nicht immer nur die Probleme sehen (muss da manchmal auch hart an mir arbeiten). Der Schweizer hat einfach auch ein extremes Sicherheitsbedürfnis, ja nichts riskieren, immer den sicheren Weg im Leben gehen. Das ist halt schon nicht die Einstellung, um ganz an die Spitze zu gelangen.

Körperspiel
Ein riesiger Unterschied. Es wird im Norden viel mehr mit dem ganzen Körper gespielt und von den Schiedsrichtern auch toleriert. In der Schweiz beherrschen viele Spieler das Körperspiel überhaupt nicht, was dann öfters zu unkontrollierten, gefährlichen Attacken führt. Auch hier denke ich, dass das Körperspiel in Schweden vor allem im Jugendalter durch die sportliche Vielseitigkeit automatisch viel besser gelernt wird (Eishockey, Fussball, Basket etc.).

Austeilen/Einstecken/Fairness
Ich weiss nicht, ob es damit zusammenhängt, dass die Schweiz südlicher liegt und das Temperament der Spieler/Trainer einfach ein wenig höher ist (was ich aber überhaupt nicht als Nachteil empfinde, es führen bekanntlich verschiedene Wege nach Rom). Aber die Fähigkeit, nicht nur auszuteilen sondern auch einzustecken, scheint mir im Norden schon grösser. Es gibt nicht in jedem Team 3, 4 Heulsusen, die wirklich bei jeder kleinsten Berührung gleich aggressiv werden und dann unkontrollierte Tätlichkeiten und Kniestiche als Antwort verteilen. Oder unzählige Male pro Spiel beim Schiri reklamieren… Ich denke, dass einfach in Schweden die interne Kontrolle besser funktioniert. Das heisst, dass sich Teamkollegen und Trainer diese Sündenböcke im Team gleich selber vornehmen und für Ordnung sorgen. Das rührt wohl auch daher, dass die „Erziehung“ zu sportlichem Verhalten von den meisten Juniorentrainern in Schweden sehr ernst genommen wird. Leider stelle ich da in der Schweiz an Juniorenturnieren in letzter Zeit sehr negative Tendenzen fest. Negativer Höhepunkt war ein Turnier, wo ein B-Juniorenspieler seinen Stock nach einem Einsatz ca. 10 Meter weit weg warf und der Trainer dem Spieler den Stock blitzschnell holen ging… Freut euch auf diesen Junior im Aktivenalter!

Schiedsrichter
Ja, auch dieses Thema muss angesprochen werden und ich habe mich bis vor einem Jahr sogar aktiv in einer Regelgruppe engagiert (für all die jetzt denken „auch einer der nur über die Schiris motzen kann anstatt was zu tun“).
Wer ein Spiel pfeift, sollte versuchen dieses Spiel zu verstehen!
Genau das gleiche Problem wie bei vielen Spielern, nur noch viel eklatanter. Die Unterschiede sind riesig, die Schiris in Schweden wirklich massiv besser. Ãœber dieses Thema könnte man separat ein Buch schreiben…
Nur ein paar Beispiele (von unzähligen) warum ein Schiri ein Spiel auch ein wenig verstehen sollte und es nicht reicht, das Regelbuch auswendig zu lernen oder sich bei jedem Pfiff darauf zu berufen.

– Eine Mannschaft lässt sich immer in 2:1 Situationen an der Bande reinmanövrieren. Gepfiffen wird fast immer für den ballführenden Spieler, kaum berührt in einer leicht (speziell in Juniorenspielen schlimm). Eine Mannschaft die sich immer in diese Situationen manövrieren lässt, begreift das Spiel nicht. Dafür sollte sie nicht noch stets mit einem „Entlastungspfiff“ belohnt werden.
– Mit Spielemotionen lernen umzugehen. Ein Gefühl entwickeln, wann alles locker gesehen werden kann oder wann wirklich hart eingegriffen werden muss (da sind die schwedischen Schiris wirklich unglaublich gut). Da werden durchaus locker Sprüche gemacht, mit Trainern und Spielern gesprochen, ohne dass es eine peinliche Anbiederung ist. Aber die Schiris können wirklich von einer Sekunde zur andern unglaublich konsequent und deutlich werden, wenn es die Situation erfordert. Ein Eliteschiri hat mir mal grauenhaft die Leviten während des Spiels gelesen (hab zum Glück nicht alles verstanden…), als ich immer wieder reklamiert habe… In der Pause kam er aber schon wieder mit einem lockeren Spruch zu mir, und der Rest des Spiels war kein Problem.
– Folgende Szene sah ich über Weihnachten bei einem NLA-Spiel: Ein hoher Ball kommt in den Slot, ein Stürmer versucht in ganz klar zu hoch mit dem Stock abzunehmen (ca. Hüfthöhe), er trifft aber bei diesem Versuch keinen Gegenspieler. Der Schiri pfeift zurecht den hohen Stock, aber nun kommt das Schlimme: Er gibt dafür 2 Minuten…. Ca. 5 Minuten später versucht der gleiche Spieler energisch mit dem Ball in den Slot zu kommen und arbeitet dabei heftig mit dem ganzen Körper. Wenn man ganz böse will kann man ein Stürmerfoul pfeifen, für mich war das aber ganz normaler Einsatz im Slot. Der gleiche Schiri gibt wieder 2 Minuten… Per Zufall ist dieser Stürmer auch in der Nati. Ich behaupte mal, dass der nach diesem Spieltag 2 Spiele lang nicht mehr allzu viel im Slot macht. Die „Quittung“ wird er dann beim nächsten Länderspiel bekommen, international geht es da anders zur Sache und für diese „Vergehen“ wird es ganz sicher keine 2 Minuten geben, weil der Schiri das Spiel versteht und weiss, dass es im Slot ein wenig härter zur Sache geht…

Ich bedaure, dass in der Schweiz nicht mehr (gute) Spieler, die ihre Karriere beenden, die Schiedsrichterlaufbahn einschlagen. Ich glaube, dort wäre das Spielverständnis und das Gefühl für die Emotionen der Spieler besser vorhanden und das Spielniveau könnte durch regelmässige untadelige Schiedsrichterleistungen massiv erhöht werden. Auch die Schweiz kann Weltklasseschiris rausbringen, Baumgartner/Baumgartner haben das bewiesen. Aber diese zwei sind das beste Beispiel, wieviel man mit grosser Persönlichkeit und Fingerspitzengefühl erreichen kann.

So, das wär´s von diesem Vergleich, ich muss aufhören, mir kommen schon wieder neue Sachen in den Sinn… Ich hoffe sehr stark, dass mein ehemaliger Dozent in Magglingen unrecht behält und die Schweiz auch in 10 Jahren noch an der internationalen Spitze der Mannschaftssportart Unihockey dabei ist!

Artikel ist von www.unihockey.ch zittiert.